„Accessing.theatre” erforscht das Deep Web des Theaters. Mit Expert*innen aus der Praxis entstehen Vermittlungsformate, die für Berufseinsteiger*innen und Theaterinteressierte Einblicke in einen häufig mystifizierten und schwer zugänglichen Arbeitskosmos ermöglichen.
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Welche Erwartungen die Intendanz an Schauspielende beim Vorsprechen richtet, ob die Dramaturgie 24/7 für die Regie erreichbar sein muss und ob Du von der Statistin zur Schauspielerin werden kannst: Hier sammelt sich schwer zugängliches Wissen zu sehr konkreten Fragen rund um die Produktion, das Personal und die künstlerische Arbeit.
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Wie Privat-, Stadt- und Staatstheater, aber auch freie Spielstätten ihr Programm aufstellen, welche Rolle dabei der sogenannte „Kanon“, Uraufführungen, inhaltliche Schwerpunkte und das Abiturthema spielen – dazu entsteht hier ein Wissensfundus.
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Ob Vorurteile zur Zusammensetzung eines Publikums der Realität entsprechen, welche Zuschauer*innen sich für welches Theater interessieren (und warum), welche Strategien Kulturbetriebe verfolgen, um die Stadtgesellschaft anzusprechen – diese Fragestellungen werden hier untersucht.
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Wie es um die Geschlechtergerechtigkeit steht, wie sich Leitungen konstituieren und woran sich Gagenverhandlungen bemessen – es gibt etliche Fragestellungen zur Praxis im internen Kulturbetrieb, die dessen politische Haltung auf den Prüfstand stellen. Doch auch externe Akteur*innen wie Verbände und Kulturpolitik nehmen Einfluss auf den Theaterkosmos einer Stadt. Mehr zur Politik in und außerhalb des Theaters gibt es hier!
Begegnung und Beteiligung nehmen im Kontext Theater eine immer größere Bedeutung ein. Das freie Ensemble Hajusom und das Deutsche Schauspielhaus Hamburg geben Einblicke in Gedanken, Ansätze und Projekte zum Thema.
Das Bündnis internationaler Produktionshäuser hat 2020 die Akademie „Kunst & Begegnungen“ gegründet. In ihrem Statement heißt es:
»Produktionshäuser begreifen sich heutzutage zunehmend nicht nur als Spielstätten, sondern als Orte der Begegnung. Sie dienen dem Austausch zwischen verschiedenen Altersgruppen, Kulturen und Sozialisationen. So sind Partizipation und Beteiligung als künstlerische Strategien mittlerweile in den Produktionshäusern konzeptuell fest verankert.«
Das Interviewprojekt „Theater und Begegnung“ nimmt diese These als Ausgangspunkt: Es äußern sich mit Dorothea Reinicke, Katalina Götz und Ella Huck vom Ensemble Hajusom sowie Sybille Meier, Dramaturgin am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, Akteurinnen mit Perspektiven der Freien Szene und der Institution Staatstheater zu dem Thema. Sie geben Einblicke in ihre Auseinandersetzung mit Begegnung und Beteiligung im Kontext Theater.
Schauspielhaus
Schauspielhaus
#1:
Begegnung braucht auch erstmal Bewegung
Wir wollen eine Institution für alle Bürger:innen sein
Fragen an Sybille Meier, Deutsches Schauspielhaus Hamburg im Dezember 2021.
1. Wie können Theater/Kunstorte Orte der Begegnung sein?
Theater war von Anfang an als Form der Begegnung konzipiert und eingebunden sowohl in kultische Vorgänge als auch in große Feste. Es gab stundenlang Theater, kein stilles Zuschauen, sondern ein Kommen und Gehen, ein Lautsein im Publikum. Das hat seinen Ursprung in der Antike und ist eine der ältesten Traditionen. Wie Theater gebaut sind, ist das immer noch inbegriffen. Es gibt einen Aufenthaltsort sowohl für das Publikum als auch die Schauspieler und Schauspielerinnen, die Möglichkeit sich nach der Vorstellung zu treffen, miteinander zu reden, zu essen und zu trinken, gemeinsam Zeit zu verbringen.
2. Inwiefern haben Begegnung(sorte) und Beteiligung miteinander zu tun?
Das sind beides künstlerische Formen. Ich finde die künstlerische Begegnung wichtig und ich finde auch die künstlerische Beteiligung wichtig. Signa als Form des immersiven Theaters geht da am allerweitesten. Das ist eine andere Form von Beteiligung. Aber die gibt es natürlich auch bei der klassischen Aufführung in der Guckkastenbühne. Auch da gibt es immer wieder eine Form der ästhetischen Beteiligung. Beides ist von der Kunst aus zu denken.
3. Was bedeutet für euch Beteiligung am Theater?
Rimini Protokoll hat zum Beispiel eine partizipative Klimakonferenz konzipiert und sie sind nicht aus dem Gebäude rausgegangen, sondern von der Bühne herunter in das Gebäude hinein. Das sind wichtige Bewegungen, jede Form von Begegnung oder Beteiligung braucht auch erst mal Bewegung.
4. Wer ist an euren partizipativen Projekten beteiligt?
Am extremsten war bislang Signas „Das halbe Leid”, wo man mit den Performenden gemeinsam übernachtet hat. Das war die weitestgehende Form der Begegnung, weil sie nicht nur das Bewusste betrifft, sondern sogar noch das Unbewusste, sofern man da wirklich geschlafen hat. Bei Projekten auf der Veddel geht man bewusst aus dem Theaterraum in den Stadtraum hinein. Da ist die Bewegung dann die umgekehrte. Da geht es um Beteiligung der Bewohner:innen als Mitspieler:innen.
5. Welche Ziele stehen bei euren Projekten im Vordergrund?
Es gibt immer wieder ein Hinterfragen von alten Gewohnheiten im Theater. Eine wichtige davon ist die Art und Weise, in der das Publikum an einer Theateraufführung teilnimmt. Die muss genauso in den künstlerischen Blick genommen werden wie andere Gewohnheiten. Ich finde ganz wichtig, dass man sich immer wieder neu hinterfragt in künstlerischen Prozessen. Und man erhofft sich immer, dass man Kunst macht, die alle gleichermaßen interessiert. Wir wollen eine Institution für alle Bürger:innen sein, wie es der Ursprungsgedanke von Theater im alten Griechenland auch war.
Foto: Saskia Seifert
Hajusom
Hajusom
#2:
Wenn man einander begegnet, kann man gemeinsam etwas kreieren
Künstlerische Praxis als Annäherung an eine dekoloniale Ästhetik
Fragen an Dorothea Reinicke, Katalina Götz, Ella Huck (Hajusom e. V.) im Juni 2021.
1. Wie können Theater/Kunstorte Orte der Begegnung sein?
Kunst kann ein Ort der Begegnung werden, in dem sie sich für Einflüsse von außen öffnet und versucht, aktuelle gesellschaftliche Prozesse zu begleiten und zu reflektieren. So können auf Seiten des Publikums wie auf Seiten der Künstler:innen sehr unterschiedliche Menschen zusammen kommen, die durch ihre persönliche Verbindung zu dem Thema in Resonanz zueinander stehen und eine ästhetische Erfahrung auf verschiedenen Ebenen miteinander teilen.
2. Inwiefern haben Begegnung(sorte) und Beteiligung miteinander zu tun?
Wenn Menschen mit unterschiedlichen Biografien und Herkünften gemeinsam Kunst kreiert haben, z. B. eine Performance, möchten sie damit auch ein diverses Publikum erreichen. Sie repräsentieren als Performer:innen sich selbst, positionieren sich als Einzelne und als diverses Ensemble, und stehen damit durch ihre gemeinsam kreierte Kunst für das Konzept einer offenen Gesellschaft ohne diskriminierende Zuschreibungen. Nur, wenn man einander begegnet, kann man gemeinsam etwas kreieren.
3. Was bedeutet für euch Beteiligung am Theater?
Wir sind der Meinung, dass jede Person Theater machen kann, wenn sie es möchte. Hajusoms Performer:innen beteiligen sich an allen Prozessen der Entstehung eines Stücks und prägen es maßgebend. Sie entwickeln ihre Texte, ihr Kostüm, ihre Choreografien gemeinsam mit dem künstlerischen Team in einem Ping-Pong-System wechselseitiger Impulse. In großen Feedback-Runden aller Beteiligten wird das Erarbeitete gemeinsam reflektiert und weiterentwickelt. Wir verstehen unsere künstlerische Praxis als Annäherung an eine dekoloniale Ästhetik.
4. Wer ist an euren partizipativen Projekten beteiligt?
Alle Performances von Hajusom sind aus der Begegnung/ dem Austausch/ der kollektiven Zusammenarbeit unterschiedlicher Menschen entstanden, die gemeinsam Themen beforschen und sehr individuelle Umsetzungen finden. Beteiligt sind Performer:innen und kollaborierende Künstler:innen für die Bereiche Musik, Bühne, Kostüm, Dramaturgie. Sie sind teilweise internationale Gast-Künstler:innen oder gehören zum langjährigen Team vor Ort. Letzte Produktionen waren „Azimut dekolonial – Ein Archiv performt“ und „Silmandé – eine Future Performance“.
5. Welche Ziele stehen bei euren Projekten im Vordergrund?
Ich glaube, dass wir kein konkretes Ziel verfolgen. Wir haben viel mehr Spaß an unserer künstlerischen Arbeit und empfinden es als Bereicherung dazu beitragen zu können, andere Perspektiven auf unsere Gesellschaft mit der Welt teilen zu können. Unsere Produktionen zielen darauf, gemeinsam die Geschichte einer vielfältigen deutschen Gesellschaft zu erzählen und eröffnen zugleich einen utopischen Raum einer Welt mit gleichberechtigten Beziehungen, für die unsere Kommunikations- und Arbeitsweisen exemplarisch sind.