How To: Gagenverhandlung
Ein Leitfaden von Netzwerk Regie e. V.
„Über Geld spricht man nicht!“ – Es ließe sich denken, diese sogenannte Weisheit sei längst überholt. Tatsächlich sind Gagenhöhen und der Ablauf von Verhandlung jedoch immer noch ein verschwiegenes Thema, gerade im Bereich der Darstellende Künste, wo insbesondere Regiegagen stark anhand verschiedener Faktoren variieren. Der Netzwerk Regie e. V. stellt seinen in verschiedenen Arbeitstreffen entstandenen Text zu Gagen-Berechnungs-Grundlagen und Kniffen im Verhandeln auch Accessing.theatre zur Verfügung.
How To: Gagenverhandlung
Welches Regiehonorar ist unter welchen Voraussetzungen angemessen? Welche Leistungen sollte ich neben dem reinen Honorar bedenken und mitverhandeln? Und wie führe ich dieses entscheidende Gespräch?
Ein Leitfaden von Netzwerk Regie e. V.
Basics
Wir bekommen nicht was wir verdienen, wir bekommen was wir verhandeln!
Für jede*n ist die ideale Form von Vertragsverhandlungen eine andere. Manche mögen es lieber persönlich, andere lieber am Telefon oder per Email. Es empfiehlt sich, die persönliche Lieblingsstrategie für sich selbst zu finden. In jedem Fall sollte man sich nicht überrumpeln lassen. An der Supermarktkasse will niemand über Verträge sprechen. Die Verhandlung sollte zu einem selbst gewählten, passenden Zeitpunkt stattfinden. Alles ist verhandelbar. Zu jedem Zeitpunkt ist es möglich, Bedenkzeit zu fordern. Die Vertragsverhandlungen sollten so früh wie möglich stattfinden, um auf beiden Seiten Vertrauen und Sicherheit zu schaffen. Außerdem sollte anschließend der Vertrag frühzeitig unterzeichnet werden.
Auch das Vorgehen bei konkreten Forderungen hängt von persönlichen Vorlieben und vom Gegenüber ab. Wichtig ist aber stets, die eigenen Forderungen gut vor sich selbst und anderen begründen zu können. Die jeweilige Argumentationslinie sollte im Vorhinein bereits durchgespielt oder bei Unsicherheit geprobt worden sein. Es empfiehlt sich, die Verhandlungspunkte aufgeschrieben vor sich zu haben, und sich beim Verhandlungsgespräch Notizen zu machen. Auch ist es gut, den Verhandlungsstand protokollarisch festzuhalten, als Email zu senden und sich bestätigen zu lassen:
„Liebe*r Verhandlungspartner*in XY, danke für das gute Gespräch. Folgendes haben wir eben besprochen: …“
Nicht vergessen: Was nicht direkt angesprochen wird, wird ggf. auch nicht verhandelt! Also alle Punkte, die einem wichtig sind – Honorar, Fahrten, Wohnung, Team etc. – im Kopf oder auf dem Zettel haben!
Das Honorar sollte eine für die Regie angemessene Höhe haben. Hierzu empfiehlt es sich, vorab die eigenen Vorstellungen zu evaluieren, einen Wunschwert, einen mittleren Wert und eine persönliche Untergrenze festzulegen.
Bei der Honorarverhandlung spielen Aspekte wie Alter, Berufserfahrung und Familie leider oft eine untergeordnete Rolle, viele Theaterleitungen zahlen nach „Marktwert“. Um diesen ungefähr zu ermitteln, empfiehlt es sich, bei Kolleg*innen, die bereits an dem jeweiligen Theater gearbeitet haben, nachzufragen. Eine kleine Recherche zur finanziellen Aufstellung des Hauses, beispielsweise bei Theapolis.de oder in der aktuellen Theaterstatistik des DBV kann ebenfalls nicht schaden.
Facts
- Unsere Honoraruntergrenzenempfehlung für Berufseinsteiger*innen beträgt (ab September 22) 7.650€ , bzw. 8.145€ (ab Januar 23) sowie ab dem 3. Berufsjahr (ab September 23) 8.745€ pro regulärer Inszenierung und sollte nicht unterschritten werden. Bei kleineren Projekten, Werkstattinszenierungen und Klassenzimmerstücken sollten pro Monat mindestens 2.550€ (ab September 22) bzw. 2.715€ (ab Januar 23) sowie ab dem 3. Berufsjahr (ab September 23) 2.915€ pro regulärer Inszenierung gezahlt werden. Diese Zahlen orientieren sich an den aktuellen Tarifabschlüssen für Berufseinteiger*innen im NV Solo und entsprechen dem Mindestlohn.
Unsere Faustregel zur Festlegung der Projektdauer lautet: Eine Woche Proben = eine Woche Vorbereitung.
- Das Honorar sollte in Abschlags-Raten gezahlt werden: 1. Rate bei Vertragsunterzeichnung, 2. Rate bei Bauprobe oder Probenbeginn, 3. Rate bei Premiere.
- Bereits gezahlte Abschlagszahlungen verbleiben beim Gast (ohne den häufig verwendeten Halbsatz „und die Leistungen für die Bühne noch Verwendung finden können.“)
- Für den Fall, dass die Produktion nicht stattfindet, ein Ausfallhonorar für bereits erbrachte Leistungen vereinbaren (bei Abschlagszahlungsregelung wären z. B. zu Probenbeginn bereits über 60% gezahlt).
- Fahrtkosten sollten vom Theater übernommen werden, 6-8 Fahrten sollten Standard sein, für den Zeitraum der Vorbereitung und der Proben. Dabei sollte auch die Art der Kostenübernahme geklärt werden: Pauschale oder Einzelabrechnung, Kilometerpauschale für die Autofahrt, Flüge oder Bahncard25/50/100? Auch hier lohnt es sich, vorab auszurechnen was für einen selbst das Beste ist.
- Das Theater sollte entweder eine Wohnung stellen oder eine Mietpauschale zahlen, die den örtlichen Gegebenheiten entspricht. Außerdem sollte das Theater bei der Wohnungssuche behilflich sein. (Aus steuerrechtlichen Gründen empfiehlt es sich ggf. die Höhe der Miete, im Falle dass das Theater eine Wohnung stellt, im Vertrag anzugeben, die Miete wird als Einkommen angegeben und bei doppelter Haushaltsführung als Ausgaben wieder abgesetzt.)
- Extraleistungen müssen in der Vertragsverhandlung benannt und extra vergütet werden. Dazu zählen Roman- oder Filmadaptionen, Musik, Video, Bühnenbild, Kostüm, Choreographie. Denn wenn die Regie diese Posten übernimmt, gibt es für andere einen Job weniger, der trotzdem angemessen honoriert werden muss. Grundsätzlich stellt sich hier allerdings die Frage, ob wir unseren Kolleg*innen die Jobs streitig machen wollen. Darüber hinaus ist Ausweisung für die Umsatzsteuer relevant.
- Die Konditionen für Wiederaufnahme- und Uminszenierungsproben sowie die Übernahme einer Produktion in eine größere Spielstätte sollten in der Vertragsverhandlung besprochen werden. Wiederaufnahme- und Uminszenierungsproben sollten angemessen honoriert werden, dabei anfallende Fahrt- und Unterkunftskosten sollten vom Theater übernommen werden. Falls die Produktion nachträglich auf eine größere Bühne übernommen wird, sollte ein zusätzliches Honorar verhandelt werden.
Was du nicht aussprichst wird auch nicht verhandelt!
Circumstances
- Bei der Vertragsverhandlung sollte auch der Ausstattungs-Etat besprochen werden. Dieser kann aufgrund langfristiger Finanzplanung an den Häusern meistens nur geringfügig verändert werden, allerdings lassen sich Posten wie Bühnenbild und Kostüm ggf. untereinander umsortieren.
In jedem Fall sollten die finanziellen Möglichkeiten der Produktion zur Vertragsunterzeichnung geklärt sein.
- Auch die Teamgröße muss vorab geklärt werden. Anzahl und ggf. Honorierung der Teambeteiligten werden mitverhandelt.
- Besetzungsgröße, Produktionsumfang und Probendauer sollten bei Vertragsunterzeichnung geklärt sein. So lassen sich Stress, Enttäuschungen und Missverständnisse vermeiden.
- Besondere Anforderungen an Probebühne, Disposition, Assistenz und weitere Produktionsbedingungen können ebenso ihren Platz im Verhandlungsgespräch finden oder werden nach der Vertragsverhandlung mit dem KBB besprochen.
- Die Probendisposition sollte ohne Nachfrage 2 Monate vor Probenbeginn durch das KBB übermittelt werden. Falls nicht, frühzeitig nachfragen! (In der Dispo sollte über alle Zeiträume, die von der regulären Probenzeit abgehen, informiert werden, z.B. Sonderregelungen zu freien Tagen, fixe freie Tage von Schauspieler*innen, bereits geplante Wiederaufnahmen und Gastspiele, Vorstellungen, Maskenzeiten.)
- Bei der ersten Zusammenarbeit mit einem Haus empfiehlt es sich aufgrund urheberrechtlicher Fragen, die Nutzung von Inszenierungs-Fotos, Videotrailern, eigenen Fotos / Videomitschnitten und die Verwendung des Materials auf Social-Media-Kanälen / Homepages zu besprechen.
Advanced
- Wer die Anti-Rassismus-Klausel in den Vertrag übernehmen möchte, aber an der Verwaltung des Theaters scheitert, kann alternativ versuchen über das 360 Grad-Programm und die Diversitätsbeauftragten (sofern es das am Haus gibt) einen Anti-Rassismus Workshop im Probenzeitraum durchzuführen.
- Klauseln, die – begründet durch die sogenannte „künstlerische Gesamtverantwortung“ o.ä. – einseitige Eingriffe des Hauses in die künstlerische Arbeit einräumen, werden in beidseitigem Einvernehmen so formuliert, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Theater und Regie möglich ist.
- Die Regie ist nicht alleinig haftbar bei Einsprüchen von und Verboten durch Verlage, solange sie nicht die direkte Ansprechperson der Lektor*innen ist. Klauseln, die sich mit Änderungen des Werkes auseinandersetzen, werden in beidseitigem Einvernehmen so formuliert, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Theater und Regie möglich ist.
- Die Regie ist nicht hauptverantwortlich für die Einhaltung des Produktionsbudgets, solange sie nicht aktiv an den Kalkulationen von Sach- und Personalkosten beteiligt ist. Klauseln, die sich mit der Einhaltung des Budgets auseinandersetzen, werden in beidseitigem Einvernehmen so formuliert, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Theater und Regie möglich ist.
Don’ts
- Schweigeklauseln in Verträgen sind ungesetzlich und schaden einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Theater und Regie.
- Das Verhandlungsergebnis nicht persönlich nehmen. Auch wenn wir unsere künstlerische Arbeit vermarkten, sollte der Ausgang der Verhandlung keine Auswirkung auf das eigene Selbstwertgefühl haben.
Es ist sehr hilfreich, sich in der Verhandlungssituation vorzustellen, Agent*in für die eigene künstlerische Arbeit zu sein, aber nicht ausführende*r Künstler*in.
- Sich nicht unter Druck setzen lassen und im Zweifelsfall Bedenkzeit erbitten. Zeit kann sogar ein Faktor in der Verhandlungsstrategie sein. Kein Vertrag muss in einer halben Stunde fertig verhandelt sein.
- Sich nicht unter Wert verkaufen. Auch wenn wir als freischaffende Künstler*innen darauf angewiesen sind, Aufträge zu bekommen, sollte jede*r sich über den eigenen Wert bewusst sein und bei unverschämten Angeboten lernen, NEIN zu sagen.
- Sich das eigene Recht nicht nehmen lassen und Verträge von Jurist*innen gegenlesen lassen. Eine Aussage der Rechtsabteilung der GDBA (Mitgliedschaft erforderlich) ist zum Beispiel immer ein gutes Verhandlungsargument, auch und gerade bei der Umformulierung von unliebsamen Paragraphen.
Sei Agent*in für Dich selbst!