Schwerpunkt „Text & Bühne“
Regie, Schauspiel, Text, Dramaturgie: Wie beginnt die Zusammenarbeit?
Ein Stimmungsbild.
Wie ein künstlerisches Kennenlernen funktionieren kann, wie die erste Auseinandersetzung mit einem Text aussieht oder aussehen soll und wer welche szenischen Vorstellungen mitbringt – all diese Fragen (und zahllose weitere) stehen am Beginn eines Arbeitsprozesses zwischen den Gewerken Regie, Schauspiel, Text und Dramaturgie.
Foto: Antoine Rault (Splash Licence)
Beim DRAMA! Festival 2022 arbeiten Autor*innen des Studiengangs Szenisches Schreiben der UdK Berlin mit Schauspielstudierenden aus Hannover sowie Regie- und Dramaturgiestudierenden der Theaterakademie Hamburg zusammen und bringen gemeinsam neue Gegenwartsdramatik auf die Bühne. In einer Online-Umfrage wurden sie nach ihren ersten Kennenlern-/Arbeitstreffen zu dem Beginn dieses Prozesses befragt. Hier ein ausschnitthafter Einblick in die Antworten von 11 Künstler*innen, die an der Umfrage teilgenommen haben.
Wie näherst Du Dich vor ersten Teamgesprächen dem Text und mit welchem Ziel?
Natürlich wendet jede*r Künstler*in ganz individuelle Methoden an, um in einem Text „anzukommen“. Um das mehrmalige Lesen führt jedoch kein Weg drum herum, darin sind sich Regisseur*innen, Dramaturg*innen und Schauspielende in ihren Antworten einig. Vielen geht es darum, erst einmal ein „Gespür für die Themen und Figuren“ zu entwickeln, einen „Überblick zu erhalten“. Das zweite und dritte Lesen wird fokussierter. Die einen beginnen, ihn nun laut zu lesen, gern auch mit einer anderen Person zusammen. Andere notieren sich erste Fragen, Assoziationen, „spannende Punkte“, um diese in den gemeinsamen Prozess mit einzubringen.
Wie viel Bühnengeschehen hast Du bereits beim Lesen/Schreiben des Textes vor Augen?
Regie, Schauspiel und Dramaturgie beschreiben, dass sie noch nicht allzu viel Bühnengeschehen beim Lesen vor Augen haben. Die Autor*innen ordnen sich ganz ähnlich ein: Ihnen entsteht beim Schreiben auch kein klares Bild davon, wie der Text sich auf einer Bühne darstellen könnte. Die Konzentration scheint also bei den Beteiligten vorerst auf dem Text zu liegen und sich erst in der Zusammenarbeit auf seine inszenatorische Umsetzung zu verschieben. Wie viele der dennoch schon vorhandenen Vorstellungen in den Prozess mit eingebracht werden, ist ganz klar: Fast ausnahmslos alle wollen ihre Ideen deutlich eher teilen als sie für sich zu behalten!
Einhelligkeit herrscht auch bei der Frage, ob es wichtig ist, das Team zu kennen, bevor mit der Arbeit losgelegt wird:
Für dieses (künstlerische) Kennenlernen brauchen die Beteiligten vor allem:
- Gespräche zu zweit
- Kenntnis vorhergehender Arbeiten
- Teamtreffen vorab (ohne Arbeitsauftrag)
- nichts (Arbeitstreffen reichen)
- Wissen, um gemeinsamen Referenzrahmen (Filme, Bücher, Musik, etc.)
- Portfolio / Website
- Eindrücke von Vertrauenspersonen
Und wie sehen die Erwartungen und Wünsche an die Zusammenarbeit mit den jeweils anderen Positionen aus?
Die Aufgaben der einzelnen Beteiligten sowie deren Arbeits-Beziehungen untereinander können sich von Produktion zu Produktion deutlich unterscheiden. So antworten manche Autor*innen, dass sie sich gar nicht in die inszenatorische Umsetzung des Textes einmischen wollen. Für andere ist eine „hohe Transparenz“ und die Erwartung an „sehr verschiedene Perspektiven von allen Gewerken“ sowie die konzeptuelle Zusammenarbeit sehr wichtig. Von der Dramaturgie wird häufig erwartet, dass sie beim Verständnis des Textes unterstützt und Hintergrundwissen beiträgt. Schauspiel und Regie werden hingegen als die „kreativen Umsetzer*innen“ betrachtet. Sie selbst wünschen sich teilweise ausreichend Autonomie für die eigenen Arbeitsprozesse und Entscheidungen. Einigen ist jedoch vor allem ein kollektives, offenes Zusammenwirken wichtig und die Möglichkeit sich bei Unstimmigkeiten gut und konstruktiv miteinander auseinandersetzen zu können. Beinahe alle Teilnehmenden der Umfrage betonen die Expertise und vergleichbare Verantwortung jeder einzelnen Position.
Und was sind die entscheidenden Faktoren aufgrund derer die Befragten miteinander arbeiten wollen?
Ein gemeinsames…
- …Interesse an dem behandelten Thema
- …ästhetisches Verständnis / Kunstverständnis
- …selbstständiges Mitdenken
Daneben sind jedoch besonders persönliche Faktoren ausschlaggebend:
- Sympathie
- die Chemie muss stimmen
- freundschaftlicher Umgang
- gegenseitiges Verständnis
- gut miteinander kommunizieren
- respektvoller Umgang
- gut miteinander arbeiten können
Wer nimmt welche Rolle in den ersten Treffen mit dem gesamten Team ein?
Vor den ersten Arbeitstreffen im großen Team gibt es oft eine aufgeregte, positive Anspannung. Einer der Gründe hierfür liegt sicherlich darin, noch nicht einschätzen zu können, wer welche Rolle(n) in der Teamkonstellation einnehmen wird und ob diese sich ergänzen und miteinander im Einklang stehen werden. „Rolle“ meint dabei nicht nur die Position, sondern auch die jeweiligen Energien, die einzelne in den Prozess einbringen.
Dramaturgie | Regie | Schauspiel | Text | |
---|---|---|---|---|
DIE MOTIVATIONS-PERSON | REGIE: „Die anderen anzünden für die gemeinsame Arbeit, Energie reingeben.“ | |||
DER*DIE STIMMUNGS-VERANTWORTLICHE*R |
Dramaturgie „Vermittlung zwischen den Positionen“ Dramaturgie „Therapeut*in, wenn es Probleme gibt“ |
Regie „Für lockere Stimmung sorgen“ |
Dramaturgie „Oft teste ich das durch Humor, ob da eine Ebene zustande kommt.“ Dramaturgie „Mensch mit größtmöglicher Offenheit und Motivation“ |
|
INHALTS-EXPERT*IN |
Dramaturgie „Eventuell moderieren“ Dramaturgie „Fragen stellen“ |
Regie „Ich versuche einen groben inhaltlichen Überblick zu verschaffen und eine Idee von meiner Schwerpunktsetzung, warum der Stoff erzählenswert sein könnte.“ Schauspiel „Ich führe alle in die Thematik ein“ |
Text „Im Prinzip gefällt mir die Rolle desjenigen, der zu diesem Zeitpunkt das meiste über das Projekt weiß und sagen kann, da der größte Teil meiner Arbeit ja bereits getan ist.“ |
|
TEAMBUILDER |
Regie „Ich versuche, das Team miteinander in Kontakt zu bringen.“ |
Wie sieht die gemeinsame Annäherung an einen Text aus?
Allen macht es viel bis sehr viel Spaß über den Text zu sprechen! Nur unter den Autor*innen gibt es Ausreißer*innen, die das nicht so gern tun. Regie, Dramaturgie und Schauspiel beschreiben vor allem eine große Offenheit, mit der der Text zum ersten Mal gemeinsam gelesen wird. Stärken und Schwächen des Textes sollen offen besprochen werden und alle ihre Meinung dazu einbringen können. Viele erwähnen, dass sie eine assoziative Annäherung sinnvoll finden, ein Abschweifen in thematisch auch entfernter liegende Gefilde, kreuz und quer Einfälle einzubringen, die der Text hervorruft, z. B. zu Videos, Songs etc. Improvisation, Brainstorming und persönliche Eindrücke sind methodische Schlagworte, die hierzu genannt werden.
Das erste Lesen: Wie sieht es aus, was verändert es?
Zwei Schauspieler*innen antworten, dass sie beim ersten Mal möglichst „neutral“ lesen. Für alle Regisseur*innen, die sich an der Umfrage beteiligt haben, ist das erste Lesen sehr wichtig für neue Anregungen:
„Es passiert enorm viel in meinem Kopf dabei. Ich kann mir erste Bühnensituationen vorstellen und darüber nachdenken ob die Besetzung richtig ist. Auch überprüfe ich beim 1. Lesen am Tisch ob mein Konzept mit dieser Konstellation schlüssig ist oder ob ich das umwerfen muss.“
„Es kann u. U. passieren, dass die Spielenden eine neue Farbe in den Text bringen, die ich nicht erwartet habe, aber toll finde. Das löst aus, dass ich dieser Richtung unbedingt weiter folgen würde.“
„Manchmal entsteht ja aus einem ersten Impuls beim Lesen etwas, das man selber nie so gedacht hätte!“
Für die Autor*innen ist das erste Lesen auch eine Überprüfung. Einzelne von ihnen beschreiben, dass dies auch eine „empfindliche Situation“ ist, dass sie „mit dem Rotstift“ zuhören und danach viel ändern, dass das Hören beim Nachdenken darüber hilft „ob die Sätze so wirklich stimmen.“ Ihre Antworten lassen sich vielleicht mit einem knappen Zitat hieraus zusammenfassen: „Der Text muss sich in der Welt anders behaupten als in meiner Gedankenwelt.“
Der Weg des Textes auf die Bühne – eine Reibungsfläche?
Alle Autor*innen der Umfrage haben ab und zu das Gefühl, ihren Text schützen zu müssen – gegen Missverständnisse, gegen eine Verengung z. B. nur auf den Witz/die Pointen. Zugleich formulieren sie unterschiedliche Methoden, mit einer überraschenden Umsetzung ihres Textes umzugehen: Entweder auf Abstand zur Produktion zu gehen, sich in Gelassenheit zu üben oder aber den eigenen Text zu hinterfragen: „Liegt es an meinem Text? Kann der die Vorlage dafür gewesen sein?“
Wie die Autor*innen sich vorbehalten viel oder explizit wenig auf Proben einzugreifen, betonen Schauspiel, Regie und Dramaturgie die Notwendigkeit frei arbeiten zu können: Sie wünschen sich den*die Autor*in überwiegend punktuell auf Proben – ihnen ist aber auch wichtig, dass er*sie ab einem bestimmten Punkt „loslässt“.